Da ich vor einiger Zeit die neu erschienenen „Betrachtungen eines Unpolitischen“ von Thomas Mann gelesen hatte, war mein Interesse an diesem Autor wieder lebendig geworden. Als dann kurze Zeit später ein neues Buch ÜBER Thomas Mann erschien, nämlich von Hans Rudolf Vaget: Thomas Mann, der Amerikaner, war ich natürlich ebenfalls interessiert. Ich habe nun die Vorfreude auf dieses Buch durch die Lektüre eines anderen, das ich vorgezogen habe, verlängert: Guy de Maupassant: Bel-Ami. Diese Buch war zufällig in meine Hände geraten, das Titelbild sah sehr französisch aus, und ich war gerade aus Metz heimgekehrt. Laut Umschlagsbewerbung handelt der Roman von einem Journalisten, der durch skrupellose Verführungskünste aus kümmerlichen Verhältnissen an die Spitze der (Pariser) Gesellschaft gelangte. Vielleicht habe ich mich ja gefragt: Wie machen manche Menschen das?! Und habe das Buch gekauft und gelesen. Hier eine kleine Leseprobe (Zum Verständnis: Der Held heißt du Roy, Madame Walter ist die Frau des Verlegers, für den du Roy arbeitet.):
Du Roy hatte Madame Walter zu seiner Rechten plaziert, und er redete während des Essens mit dem allergrößten Respekt über verschiedene ernste Themen zu ihr. Von Zeit zu Zeit warf er einen Blick auf Clotilde. „Sie ist wirklich hübscher und attraktiver“, sagte er sich. Dann schweiften seine Augen zu seiner eigenen Frau zurück, die er auch nicht übel fand, obwohl er immer noch eine infame anhaltende Wut auf sie hatte. Aber es war doch Madame Walter, die ihn am meisten erregte, eben weil ihre Eroberung schwierig war und weil Männer nun einmal stets Lust auf neue und andere Frauen haben. Sie äußerte die Absicht, frühzeitig nach Hause zurückzukehren. „Ich werde Sie begleiten“, sagte er. Das lehnte sie ab. Er ließ aber nicht locker: „Was haben Sie bloß dagegen? Sie kränken mich zutiefst. Lassen Sie mich nicht glauben, Sie hätten mir nicht verziehen. Sie sehen doch, wie ruhig ich bin.“ Sie antwortete: „Aber Sie können doch Ihre anderen Gäste nicht einfach so allein lassen.“ „Ach was! Ich bin ja nicht länger als zwanzig Minuten weg. Das wird sowieso kaum jemand bemerken. Wenn Sie nein sagen, so tun sie mir bis in die Seele hinein weh.“ Sie murmelte: „Also gut, ich bin einverstanden.“
Ist das nicht hübsch erzählt? Ohne Schnörkel, ja sogar ein wenig vereinfacht, so scheint es, alles auf den Punkt gebracht, verbale Zwischenschritte aussparend. Dagegen betrachtet scheint Thomas Mann eine regelrechte Plaudertasche zu sein. Bei Maupassant muss man sich die Zwischentöne denken, bei Mann sind sie alle an der Oberfläche versammelt, Thomas Manns Tiefe ist also eine oberflächliche, wenn man so will...
Über das Buch von Hans Rudolf Vaget möchte ich nur ein paar Worte verlieren. Wer sich nur ein wenig für Thomas Mann interessiert, der sollte es unbedingt kaufen. Es ist indes genau so interessant für alle, die sich für die Zeit vor und nach dem zweiten Weltkrieg interessieren, da zwar alles in dem Buch um Thomas Mann kreist, die Schilderung und Analyse seiner vielfältigen Beziehungen aber zugleich ein weites historisches Feld eröffnen. Denn Mann war gut vernetzt. Seine Beziehung zu Präsident Roosevelt, seine Freundschaft mit Agnes Meyer, seiner amerikanischen Förderin, sind zwei Schwerpunkte des Buches. Dann erleben wir Thomas Mann unterwegs mit dem Zug in Amerika, seine Auftritte an Universitäten, sein Leben in Los Angeles. Wir lernen mehrere Facetten kennen der Situation in Deutschland nach dem Krieg, die unter das Stichwort „Nachkriegsbewältigung“ fallen. Der Nationalsozialismus war latent vorhanden im Nachkriegsdeutschland. Ein Aspekt oder Thema, das seit ein paar Tagen wieder an Fahrt gewonnen hat, seit dem bekannt wurde, dass es Rechtsterrorismus in Deutschland gibt und niemand davon etwas ahnte.
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