Kreuz König
Moskauplatz, Südbahnhof: die Linie
59,
gelbe Straßenbahn
Königspaß-Platz,
ein balkanisches Kyrie
brandet
von Osten an die schlingerndeTram
Mein
Körper pendelt, hängt am Haltegriff
Ich
lese ferne Sonette, der Fahrscheinentwerter
Stanzt
Löcher ins Straßenbild, ein Rattenpfiff
Schreckt
Mülleimeröffner und Resteverwerter
Karpaten,
Europas hartgelederte Flanke
Von
Irlands Nordwest gegerbt: Im Eichenfaß
Schmuggelt
man seltene Bücher euch über den Paß
Drin
blättert der König mit waffengewohnter Pranke
Die
Stirn gefurcht, von Antithesen durchzogen
Schaumgekrönt
von Reflexen atlantischer Wogen
Heraldisches
Rätsel: der Rabe, im Ärmel ein As
Herz
zwei
Vertäute
Spannung, gelöst der Knoten, das Seil
Entläßt
den Bügel, gelagert auf federnden Scheren
Lichtblitz
beim ersten Kontakt mit dem Draht, ein Keil
Bläuliches
Weiß, ein Aquamarin ohne Schlieren
Den
Knoten lösen. Und schon fließt der Strom
Nur
Technik. Man sollte den Überkopfschreiber
Erfinden.
Textwiderstand 200 Ohm
Den
Fluß des Genies mit dem Sonett-Treiber
Verbinden.
Im Mund den Scherenstromabnehmer
Elastisch
geführt am Draht der Poesie
Die
Hände gefaltet, in den Schienen die Knie
Gleitend,
funkensprühend, ein unbequemer
Autor
als Schlitten, den der Text mit ihm fährt
Leben
und Nebel palindromisch verkehrt
Herz
Drei
Der
Fahrer in seiner Kanzel aus Glas traktiert
Den
Sollwertgeber mit zuckendem Rücken
Impulsverströmend
- ein Muß aus freien Stücken
Weil
ohne Impuls die Tram an Fahrt verliert
Und
umgepolt: Der Fahrer hängt am Draht
Es
ist die Straßenbahn, die experimentiert
An
den zappelnden Arm Elektroden montiert
Eine
poetisch-psychogalvanische Forschertat
Im
Kopf des Fahrers erblühen Muster und cluster
Spiralen,
Schlangen, Zielscheiben, Liebespfeile
Auch
Sterne, vom Ideen-Himmel heruntergeholt
Themen-Chrysanthemen,
die kleine Aster
Der
Dichter ist von Lüge auf Einfall gepolt
Damit
ihm die Welt den Stromschlag erteile
Pik
Vier
Voll
mit altem Brot, nein, mit vergilbten Akten
Auf
offener Ladefläche: ein LKW
Hält
gleiches Tempo, bleibt uns parallel
Die
Federn knirschen unter der Last der Fakten
Und
Steine, die sie am Flüggewerden hindern
Römisch
Drei, dann Schrägstrich, Arabisch Drei
Das
Aktenzeichen. Ein grauer Papagei
Erfand
die Schaukel, der Reißwolf sagts den Kindern
Wie
aus dem Kopf des Fahrers präpariert
Erscheint,
auf die Planke des Lasters projiziert
Die
rote Spirale auf gelbem Grund, nach links
Verlaufend,
gerade endend als spitzer Pfeil
Darunter
ein Name. Bekannt. Woher nur? Der Dings...
Volán,
der Meister. Er spricht: Margarita, es sei
Pik
Fünf
Die
Tram: zwei Wagen, gelbes Palindrom
Aus
Bug und Heck und Kupplung, Heck und Bug
Die
weißen Springer treiben Zug um Zug
Den
schwarzen König zum Zaun mit Hochspannungsstrom
Sie
heißen ihn in der Gosse niederknien
Und
in den Randstein beißen - nicht weiter, Europa
Besingen
wir dies. Wir sehen den netten Opa
Vom
Reinigungsdienst auf dem Bürgersteig stehn
Schaufel
und Besen zur Hand, zusammenzufegen
Was
blieb. Die dunklen Flecken wäscht der Regen
Die
Grenzen getilgt, nicht das Abgrenzsyndrom
Wer
nicht weiß, wer er ist, muß fragen, nicht schlagen
Doch
diese Erkenntnis lyrisch weiterzutragen
Ändert
nichts. Und spricht das etwa dagegen?
Aporie,
Aporue: Europa - Palindrom
Herz
Sechs
Die
Tram heißt hier noch immer "die Elektrische"
Ich
bin seit fünf oder wer weiß wie viel Jahren
Auf
die 59 schwer abgefahren
Ein
Resteverwerter. Am Leben reizt das Eklektische
Das
carpe diem, das Erinnerungsfragment
Am
Sprachgebrauch und an den Häuserfassaden
Muscheln,
barocke Voluten, wie von Meeresgestaden
Sedimentiert,
gebannt, zitiert vom Zement
Die
Straßenbahn geht in die Kurve: Mein Glück
Im
Nu aufschießend vom Steiß ins Genick
Ist
explodierendes Licht, das die Augen vergleißt
Gelackte
Abziehbildchen vom Rand her versengt
Die
Schneckenhäuser zu Teesieben zersprengt
Und
Seligkeitsnarben in die Netzhaut schweißt
Karo
Sieben
Fünf
Jahre hier. Und trotzdem streif ich die Fremd-
Haut
nicht ab, wird das Elmsfeuer weitergetragen
Ich
brenne. Aus den Fingerspitzen schlagen
Bläuliche
Flammen. Ich gehe im Nessushemd
Meiner
Sprache umher. Dies ist die Stadt
Der
Gasöfen und aprikosenen Nylons
In
den Lyrik-Katakomben Babylons
Les
ich Neonschriften von 10 000 Watt.
Steck
den Kopf in die Röhre und inhaliere
Daraus
ein blaubestirntes Firmament
Koch
mir schwarzen Espresso und verliere
Mich
an bonzengelbe Kunstseidenwäsche
Die
knisternd an den Sternen Feuer fängt
Schick
an Europa noch eine Depesche
Eh
ich Nylon in Poren inkorporiere
Karo
Acht
Ein
Stoß, mein Blick gleitet aus, verliert den Reim
Im
Sonett, das ich les, Kavanaghs, des irischen Barden
Die
Trambahnschleuder preßt mich, Honigseim
An
die Ränder des Texts, ans äußerste Innere verladen
So
plötzlich stieß es nie mich um, trotz
Meiner
Straßenbahn-Passagier-Erfahrung
Schwach
wurden die Knie sonst nur ob des Spotts
Beim
Abbruch vielversprechender Augenpaarung
Wie
einst in der Kirmesraupe, wenn sie schnell
In
den Rundkurs ging. Der Freundin spitzer Ell-
Bogen
bohrte sich in meine Rippen
Schräg
die draußen drehende Welt, und schief
Ragend
am Rand Europas der Körpermief
Die
Fliehkraft riß den Kuß von den trockenen Lippen
Karo
Dame
Wäre
Rauchen nur erlaubt, sie rauchten
Auch
hier, die Frauen, na und? Sie lebten diese
Blaue
Ferne, Zwischen-den-Kriegen-Krise
Der
Ehe, vorübergehend aus und brauchten
Nicht
diesen Ansitz- und Abweisblick. Den Beinen
Abgewinkelt
in den Stehplatzraum
Gestellt
und wohlbeschuht, ist Form und Traum
Gegeben,
Aura, das Einmal-nur-Erscheinen
Einer
Ferne, so nah sie auch sein mag.
Lippenstift
wird Rouge genannt, und wörtlich
Was
bei uns Rouge, "Gesichtsröter"
Sonst
die Kleidung eher von Welt als örtlich
Sind
die Schultern geweiht dem Fuchstöter
So
zollt die Jägerin ihren Tribut der Jagd
Pik
Zehn
Die
Kurve am Königspaß-Platz: Gekrümmt
Das
Fragezeichen inmitten der Hausfassaden
Silos,
um 1900 auf Palazzo getrimmt
Die
in lauen Renaissance-Lösungen baden
Und
nur die Frage noch zusammenhält
Durchlöchert
von Maschinengewehr-Garben
Der
Roten, der Weißen, der Karnevalsgarden
Zu
welchem Ende sie in die Welt gestellt
Lendenschurz
mit Mottenfraß: Die Giganten
An
den Seiten des Portals sind Machtsimulanten
Im
Dienst des Bankomats. Der zahlt - und zählt
In
der Kurve hauts mir fast die Beine weg
Das
jähe Glücksgefühl, das macht mich frech:
Ich
weiß: Ich bin der Herrscher, der bestimmt
Was
Europa als Erbe vom Osten nimmt
Kreuz
Zehn
Bäume
hälts hier noch, die Umstandskrämer
Schon
abgekrönt, ein Weichbild (Bild, das weicht
Dem
Lichtraum der Verkehrsbedenkenträger)
Doch
ein Starrsinn bis in die Wurzeln reicht
Das
Wurzelwerk zitiert die Macht der Krone
Den
Asphalt schrundets, reißts darüber auf
Des
Silberbeschlags beraubt ist die Ikone
Sichtbar
wird der Krakelüren-Verlauf
Aufbrechen
im Zickzackbild des Blitzes
Masken,
Pokerfaces, Steingesichter
Die
Augen widerspiegeln zuckende Lichter
Des
Spotts, des selbstgewissen Aberwitzes
Der
dem Alltag den Lyrikvirus einscannt
Und
dem Betrieb die Signaturen einbrennt
Joker
Im
Hut des Bettlers häuft sich Alugeld
Die
angegrauten Mitleidssilberlinge
Was
tun damit? Polieren? Abgezählt
dem
Bankomat, auf daß er es verschlinge
Und
- schlecht gekaut! - sich dran verschlucke
Per
Plastikkartenschlitz zum Futtern geben?
Auch
eingewechselt wirds nicht mehr, die Hucke
Läuft
nicht voll davon, es reicht zum Leben
Nicht
und nicht zum Sterben. So legt er aus
Aufs
Gleis der Tram den Forint und den Heller
Münz-Oblaten
walzt das Rad daraus
Aluminium-Hostien,
die tückisch glänzen
Dem
Bettler taugen sie als kleine Teller
Um
den Spatzen Krümel zu kredenzen
Herz
Bube
Der
Amokschreiber mit der Farbsprühdose
Pfuscht
an die Häuserwände sein kryptisches tag
Den
Ausstoß regeln Turgor und Osmose
Und
wenns ihm kommt, dann feiert er Namenstag
Ich
silberblicke ins weiße Licht: Die Retina
Behält
den glühenden Funken, der ein sich schreibt
Mit
dem Satz- Dies Buch gehört dem König. Bettina -
Der
unlesbar im Gedächtnis bleibt
Der
schlierenverstörte Blick sieht Schattendellen
Sich
einvertiefen und Lichtbeulen schwellen
So
wildbewegt waren die Fassaden nie
Flirrende
Funken der auf uns stürzenden Neigungen
Schmolzen
aus dem Senkblei erzwungener Steigungen
In
Berg- und Talfahrt die eine Epiphanie
Kreuz
As
Satire
ist Gebet ohne Sinn, sagt Kavanagh -
Die
Welt, die schon verkehrt, wird durch Verkehrung
Mitnichten
richtig, sabotiert Belehrung
Durch
Gleit-Gefühlsbeschichtete Bekenner
Du
mußt ins Landesinnere gehen und klugen
Abstand
halten vom Zentrum wie den Rändern
Ins
Leere gehen zwischen Toccaten und Fugen
Den
Luftspiegeln der Puszta, den Augenblendern
Wo
das flirrende Licht in Windhosen quirlt
Und
Staub als Hostie unterm Gaumen klebt
Gott
aber nur über trockenen Tümpeln schwebt
Du
verdurstet an Dir selbst? Zu wenig
Anzubieten
Aas dem Rabenkönig?
Er
hackt dich auf, ein Bündel Därme hebt
Er
aus der Höhle: Knotenschrift, verzwirlt
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